Skip to main content

Hinweis- und Rechtsberatungspflichten des WEG-Verwalters vor der Beschlussfassung

Die Eigentümer einer größeren Wohnungseigentümergemeinschaft im Landgerichtsbezirk Karlsruhe fasten 2011 einen Beschluss, wonach einer Teileigentümerin der Umbau ihres in der Anlage betriebenen Einkaufszentrums gestattet wurde. Mit dem Umbau waren Veränderungen des gemeinschaftlichen Eigentums verbunden. Ein Eigentümer focht diesen Genehmigungsbeschluss an. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Die Berufung endete mit einer Erledigungserklärung. Das Berufungsgericht wies die Kosten des Rechtsstreits den Beklagten zu, weil der Genehmigungsbeschluss mit hoher Wahrscheinlichkeit für ungültig zu erklären gewesen sei. Der Umbau des Einkaufszentrums hätte eine erhebliche Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes des Gebäudes zu Folge gehabt, so dass es der Zustimmung aller Eigentümer für die Beschlussfassung bedurft hätte. Zumindest der Kläger habe keine Zustimmung erteilt.

Einzelne der beklagten Wohnungseigentümer erhoben nachfolgend ihrerseits Klage gegen die Verwalterin auf Erstattung der ihnen im Anfechtungsrechtsstreit entstandenen Verfahrenskosten. Sie vertraten die Auffassung, der Geschäftsführer der Verwalterin, hätte als Versammlungsleiter das Zustandekommen des Beschlusses nicht verkünden dürfen. Das Amtsgericht wies die Schadensersatzklage ab. Das Landgericht wies die Berufung unter Zulassung der Revision zurück. Die Kläger legten schließlich Revision beim BGH ein, die mit Urteil vom 29.5.2020 endete.

Die fünf Bundesrichter führten im Urteil zunächst ganz allgemein aus, dass ein Schadensersatzanspruch eines einzelnen Wohnungseigentümers voraussetze, dass die Verwalterin Pflichten aus dem Verwaltervertrag verletzt habe, § 280 Abs. 1 BGB. Der Verwaltervertrag entfalte Schutzwirkungen auch zugunsten einzelner Wohnungseigentümer, vgl. BGH-Urteil vom 19.7.2019, V ZR 75/18 – ZIV 2019, 88. Die Verkündung des positiven Beschlussergebnisses stelle im vorliegenden Fall keine Pflichtverletzung dar, da der Beschluss rechtmäßig zustande gekommen sei.

Nach § 22 Abs. 1 WEG könnten bauliche Änderungen des Gemeinschaftseigentums beschlossen werden, wenn jeder Wohnungseigentümer zustimme, der über das in § 14 Nr. 1 WEG normierte Maß hinaus beeinträchtigt sei. Nach einhelliger Auffassung könnten bauliche Veränderungen mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. Stimmberechtigt seien dabei auch die Eigentümer, die durch die Veränderung nicht über das in § 14 Nr. 1 WEG normierte Maß hinaus beeinträchtigt seien. Da aber auch alle über das in § 14 Nr. 1 WEG normierte Maß hinaus Beeinträchtigten zustimmen müssten, sei ein Beschluss rechtswidrig, an dem einer dieser Wohnungseigentümer nicht positiv mitgewirkt habe, vgl. BGH-Urteil vom 20.7.2018, V ZR 56/17 – ZIV 2018, 65.

Allerdings sei umstritten, ob ein Versammlungsleiter das Zustandekommen eines solchen Beschlusses auch verkünden dürfe, wenn eine einfache Mehrheit zwar erreicht worden sei, an ihr aber nicht alle Wohnungseigentümer mitgewirkt hätten, die über das normierte Maß hinaus beeinträchtigt seien.

Richtigerweise handele der Versammlungsleiter nicht pflichtwidrig, wenn er in einer solchen Situation das Zustandekommen des Beschlusses verkünde. Das Zustimmungserfordernis der betroffenen Eigentümer stelle kein Mehrheitsquorum dar. Ein Quorum stelle regelmäßig eine klar bezifferte Mehrheit dar, deren Feststellung in erster Linie ein Auszählen der abgegebenen Stimmen erfordere. Eine solche formale Prüfung, reiche für die Beurteilung, wer im Sinne von § 14 Nr. 1 WEG zustimmen müsse, nicht aus. Hierzu bedürfe es zunächst der Prüfung der baulichen Veränderung sowie der Auswirkungen auf die einzelnen Wohnungseigentümer an Hand der tatsächlichen Verhältnisse.

Hieran schließe sich dann die Bewertung an, ob das Maß überschritten sei oder nicht. Durch diese Prüfung entstünden Rechtsunsicherheiten. Dies zeige sich schon daran, dass im Vorprozess das Amtsgericht den Nachteil anders bewertet habe, als das Landgericht.

Dem Versammlungsleiter sei daher eine solche Prüfung bei der Abstimmung nicht zuzumuten. Der Versammlungsleiter sei nicht Aufsichtsorgan der Wohnungseigentümer, sondern habe deren Abstimmung zu respektieren. Er könne sich daher auch dann nicht über die mehrheitliche Willensbildung hinwegsetzen, wenn ersichtlich sei, dass der Beschlussantrag den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung widerspreche. Andernfalls führe man indirekt für die Beschlussfassung ein Zustimmungserfordernis des Versammlungsleiters ein.

Allerdings träfen den Verwalter vor einer solchen Beschlussfassung Aufklärungs- und Hinweispflichten gegenüber den Wohnungseigentümern. In Vorbereitung zur Beschlussfassung über eine bauliche Änderung des gemeinschaftlichen Eigentums habe der Verwalter zu prüfen, ob und welche Eigentümer ihre Zustimmung zur baulichen Änderung erteilen müssten. Über das erzielte Ergebnis habe er vor der Beschlussfassung zu informieren. Die Erteilung von Hinweisen in der Eigentümerversammlung, die notwendigerweise auch rechtliche Erwägungen enthielten, gehöre zum Kerngeschäft eines Berufsverwalters und stelle eine nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 RDG erlaubte Rechtsdienstleistung dar.

Soweit die Gemeinschaftsordnung ein Zustimmungserfordernis des Verwalters für bauliche Änderungen vorsehe, könne der Verwalter eine Weisung der Eigentümerversammlung einholen. Dabei müsse er umfassend über die aufgetretenen tatsächlichen und rechtlichen Zweifelsfragen aufklären. Der Versammlungsleiter müsse die Wohnungseigentümer in die Lage versetzen, das Risiko, das sie mit der Zustimmung oder Versagung der beabsichtigten Maßnahme eingingen, zutreffend abzuschätzen. Lasse der Verwalter es hieran schuldhaft fehlen, so hafte er, weil er der Eigentümerversammlung keine ordnungsgemäße Grundlage für die zu treffende Entscheidung verschafft habe, vgl. BGH-Urteil vom 21.12.1995, V ZB 4/94, BGHZ 131, 346, 353.
Die Haftung entstünde allerdings nicht schon durch eine nicht genügende, pflichtwidrige Information. Einen Rechtsirrtum insoweit habe er nur zu vertreten, wenn seine Einschätzung offenkundig falsch sei.

Der BGH erkennt im Urteil an, dass es problematisch sein könnte, im Rahmen der Abstimmung ad hoc festzustellen, ob alle erforderlichen Zustimmungen vorlägen. Auch bei einer Offenkundigkeit des Fehlens einer notwendigen Zustimmung einzelner Eigentümer, etwa wegen ausdrücklicher Versagung, dürfe der Versammlungsleiter den Beschluss verkünden, wenn eine einfache Mehrheit erreicht sei. Auch in diesem Falle müsse das Recht auf Berücksichtigung des Zustimmungserfordernisses im Wege einer Anfechtungsklage durchgesetzt werden.

In dieser Situation habe der Versammlungsleiter indessen auch die Möglichkeit, die Verkündung des Beschlussergebnisses von einer Weisung der Wohnungseigentümer abhängig machen, die im Wege eines Geschäftsordnungsbeschlusses einzuholen sei. Dieser Weisung müsse der Versammlungsleiter nachkommen. Die Wohnungseigentümer könnten auch von sich aus, eine entsprechende Weisung beschließen.

Im zugrundeliegenden Fall hatte das Berufungsgericht zur Frage der Erfüllung der Informations- und Hinweispflichten eine umfangreiche Beweisaufnahme durchgeführt. Hieraus ergab sich, dass Informationen und Hinweise in der WEG-Versammlung vom Versammlungsleiter erteilt wurden. Ob diese den – vom BGH nunmehr formulierten – Anforderungen genügt hätten, konnte die Beweisaufnahme nicht belegen. Da die Beweislast, dass ungenügend informiert wurde, bei den Klägern lag, blieben diese beweisfällig. Die Revision blieb daher ohne Erfolg, Urteil vom 29.5.2020, V ZR 141/19.