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VerfGH Berlin und BVerfG stärken Berufungsfähigkeit bei abweichender Richtermeinung

Der Verfassungsgerichtshof Berlin hat mit einer Entscheidung zum Mietrecht die Überprüfbarkeit von Richterrecht gestärkt. Die Vermieterin begehrte klageweise vor dem AG Köpenick Nachzahlungsbeträge i.H.v. 242,91 € aus den Betriebskostenabrechnungen 2003 und 2004, die sie der Wohnungsmieterin rechtzeitig erteilt hatte. Die Mieterin verteidigte sich gegen die Klage u.a. mit der Behauptung, die Abrechnung für 2003 sei ihr in 2005 und damit nicht rechtzeitig im Sinne von § 556 Abs. 3 Satz 2 BGB zugegangen. Die Vermieterin konnte zwar die Absendung, nicht aber den Zugang bei der Mieterin nachweisen. Das Amtsgericht vertrat die Auffassung, dass es nur auf den Zugang ankomme. Wenn die Abrechnung nicht oder nicht rechtzeitig zuginge, müsse sich die Vermieterin das Verschulden ihrer Erfüllungsgehilfen (Post) zurechnen lassen. Die Vermieterin wies auf eine anderslautende Rechtsprechung beim LG Potsdam hin und forderte das Gericht auf, die Berufung ausdrücklich zuzulassen. Ein entsprechender Antrag ist rechtlich zwar nicht notwendig, erschien der Vermieterin aber geboten, weil die Berufungssumme (sogenannte Erwachsenheitssumme) von 600 € nicht erreicht war. Das AG Köpenick wies die Klage ab und ließ die Berufung nicht zu. Die Rechtsfragen im Streitfall hätten weder grundsätzliche Bedeutung, noch sei die Berufungszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung notwendig, § 511 Abs. 4 ZPO.

Hiergegen wendete sich die Vermieterin zunächst mit einer sogenannten Anhörungsrüge nach § 321a ZPO wegen Verletzung des Rechtes auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) an das AG Köpenick.

Dies verblieb jedoch bei seiner Rechtsauffassung und wies die Rüge zurück. Die Vermieterin legte schließlich Verfassungsbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof Berlin ein.

Der VerfGH schloss sich der Rechtsauffassung der Vermieterin an. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sei es gemäß § 511 Abs. 4 ZPO erforderlich die Berufung zuzulassen, wenn das Gericht von einer Entscheidung eins gleichen oder höherrangigen Gerichts abweichen wolle. Dies habe das AG Köpenick unterlassen, obgleich sogar dem Standardkommentar des BGB (Palandt) zu entnehmen gewesen sei, dass es eine abweichende Entscheidung des AG Oldenburg gäbe. Auch ohne eine mühevolle Rechtsprechungsrecherche sei daher ohne weiteres erkennbar gewesen, dass die Rechtsentwicklung unterschiedlich verlaufen würde, wenn von dieser Entscheidung abgewichen würde. Es wäre daher notwendig gewesen, die Berufung zuzulassen. (Beschluss vom 1.4.08, Az. 203/06 – Veröffentlichung in Fachzeitschriften nicht bekannt, einsehbar unter
www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de)

Diese Rechtsprechung ist für den Fall der Nichtannahme der Berufung mangels grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 522 ZPO im selben Sinne vom Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 4.11.2008 – 1 BVR 2587/06) bestätigt worden.
(www.bundesverfassungsgericht.de)